Chormusik des Baltikum

In den Staaten des Baltikums (Litauen, Lettland, Estland) gibt es eine lange Tradition des Chorsingens. Im Nordosten Europas liegend, nehmen diese Länder politisch wie künstlerisch eine Mittlerposition zwischen Ost- und Mitteleuropa ein. Trotz vieler historischer, kultureller und landschaftlicher Gemeinsamkeiten ist jedes Land von seiner eigenen Musikgeschichte und der eigenen künstlerischen Mentalität geprägt. Über die Jahrzehnte der unfreiwilligen Zugehörigkeit zur Sowjetunion hinweg bewahrten die baltischen Völker ihre nationale Eigenständigkeit – die Kraft dazu schöpften sie nicht zuletzt aus tief verwurzeltem Glauben: vorwiegend katholisch in Litauen, wie im benachbarten Polen, zu dem eine enge staaktliche Anbindung bestand, mehrheitlich evangelisch-lutherisch in Estland, wo der deutsche Einfluß stärker war, währen es in Lettland Katholiken, Lutheraner und Orthodoxe gibt. Zu dieser religiösen Verwurzelung gehört ein reicher Schatz an Volks- und Kirchenliedern, denn Gesang und ein hochstehendes Chorwesen sind gerade bei den Balten eng mit dem nationalen Bewußtsein verbunden. Das Sangesfreude und Chorkultur das Gemeinschaftsgefühl stärken, zeigte die sogenannte „singende Revolution“, politisch-musikalische Demonstrationen, die 1990/91 mithalfen, die politische Freiheit wieder zu erlangen. Einzigartig in Europa sind die alle drei bis vier Jahre stattfindenden Chorfeste, bei denen, insbesondere in Lettland und Estland über 20.000 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne stehen.
Hohe Emotionalität aber auch meditative Ruhe und Konzentriertheit zeichnen die  Chormusik des Baltikums ebenso aus, wie ihr Hang zur Melancholie und Schwermut. Der erste bedeutende Komponist Litauens war der Musiker und Maler Mikalojus K. Ciurlionis (1875-1911). In Estland steht Rudolf Tobias (1873-1918) am Beginn der nationalen Chorschule und der Este Arvo Pärt (*1935), dessen geistlichen Chorwerke inzwischen auf der ganzen Welt bekannt sind, wurde zur Symbolfigur einer neuen archaisierenden Tonalität. Eine vielversprechende junge Komponistengeneration bemüht sich um eine Verbindung von Glaube und Musik, wobei das emotionale Bedürfnis nach innerlichkeit und Kontemplation im Mittelpunk steht. Besonders der Kompositionen von Rihards Dubra (*1964) hat sich CANTUS 20 10 angenommen.